EXPERT_TALK

Heute dürfen wir Ihnen ein spannendes Thema in unserem EXPERT_TALK vorstellen. Diesmal mit dabei ist Herr Dr. Wolfgang Wilkes von der Semaino Technologies GmbH, der uns in die Thematik der Produktdatenklassifizierung einführt. Durch das Interview führt Marco Kahler, Director PIM bei ADSCAPE a valantic company.

KAHLER:
Wolfgang, was verstehst du genau unter einer Klassifizierung?

WILKES:
Eine reine Klassifikation dient dazu, Objekte, in unserem Fall also Produkte, in Klassen zu gruppieren. Damit wird gesagt, WAS ein Produkt ist: Ist es eine Sechskantschraube, eine Kreiselpumpe oder eine Kreissäge. UNSPSC, die große amerikanische Klassifikation, macht nichts anderes – sie stellt Klassen bereit, in die Produkte eingeordnet werden können. Für die Beschreibung von Produkten fehlt dabei aber ein wichtiges Element: Die Beschreibung der Produkteigenschaften. Dies wird in den Standard-Klassifikationen ECLASS und ETIM durch Merkmale erreicht, die den Klassen zugeordnet werden. Beispiele für Merkmale sind Längen- oder Gewichtsangaben, Eingangsspannungen, Stromstärken, etc., durch die Produkte einer Produktgruppe beschrieben werden können. Wichtig ist, dass diese Merkmale zentral beschrieben werden, damit sie von allen Personen und Systemen, die mit den Daten arbeiten, einheitlich verstanden und benutzt werden.

KAHLER:
Mit Klassifizierungen verbindet man oft ECLASS, ETIM oder UNSPSC. Es gibt doch auch andere Arten von Klassifikationen?

WILKES:
Ja, da hast du recht. Auf der anderen Seite hat jedes produzierende Unternehmen im Regelfall seine eigene Klassifikation aufgebaut. Schließlich werden die eigenen Produkte in einem oder mehreren hausinternen Systemen verwaltet, die die Produkte zu Produktgruppen zusammenfassen, die die Varianten darstellen, und die auch die Eigenschaften der Produkte definieren. Das ist ein wichtiger Teil der Arbeit mit einem Product-Information-System, dem PIM.

KAHLER:
In der ersten Antwort hast du von ECLASS und ETIM gesprochen – heißt das, dass jedes Unternehmen seine Produktdaten nach einem solchen Standard organisieren sollte?

WILKES:
Nicht unbedingt! Natürlich, wenn Sie auf der grünen Wiese beginnen, dann sollten Sie sich vorhandene Klassifikationen anschauen und damit starten. Aber Sie werden schnell merken, dass Sie nicht alle Klassen brauchen, dass Sie nicht alle Merkmale brauchen, dass Ihnen aber bestimmt auch einige Merkmale fehlen, die Sie gerne für die Beschreibung Ihrer Produkte einsetzen würden. Und das ist ja zunächst das Wichtigste für Sie: Sie müssen Ihre Produkte für sich so beschreiben können, wie das für Ihre Prozesse und Ihre Anforderungen wichtig ist.

KAHLER:
Es ist aber doch häufig so, dass diese Daten in unterschiedlichen Systemen verwaltet werden, etwa im PIM-, im ERP- oder weiteren Systemen?

WILKES:
Das ist so. Gerade deshalb ist es so wichtig, Klassen und Merkmale im Unternehmen zentral zu definieren, damit unterschiedliche Abteilungen und unterschiedliche Systeme sie gleichartig benutzen. Also: PIM und ERP und PDM sollten möglichst die gleiche Sprache sprechen – auch wenn nicht alle Daten aus dem PDM ins PIM kommen und nicht alle Daten aus dem PIM ins ERP.
Und bei der Erstellung dieser „Hausklassifikation“ sollten Sie auch gleich mit bedenken, dass Sie mit anderen Unternehmen Daten austauschen wollen. Daher sollten Sie ein Augenmerk auf die Standard-Klassifikationen legen, denn diese werden von vielen Ihrer Partner mit Sicherheit gefordert. D.h., Sie müssen in der Lage sein, aus Ihren Daten die geforderten Daten der Standard-Klassifikationen bereitzustellen. Sie müssen also aus Ihrer „Unternehmenssprache“ übersetzen auf die gemeinsame „Transfersprache“ zwischen Unternehmen.

KAHLER:
Es geht also um den Datenaustausch zwischen zwei verschiedenen Klassifizierungen?

WILKES:
Genau. Dabei geht es uns weniger um den Austausch von Daten via Print-Kataloge (oder deren Darstellung in PDF oder HTML-Form), sondern es geht darum, Daten von einem System in Ihrem Hause in ein System bei Ihrem Kunden zu übertragen. Denken Sie etwa an die Übermittlung von Produktdaten an Marktplätze, an Großhändler oder an Einkaufssysteme von Kunden. Alle diese Systeme haben Ihre eigene interne Datenorganisation – man könnte sagen, ihre eigene Hausklassifikation – und damit ist der Datenaustausch im Prinzip eine Übertragung von einer Klassifikation, von einer Daten-Organisation auf eine andere Klassifikation, eine andere Daten-Organisation.

KAHLER:
Das hört sich kompliziert und schwierig an. Schließlich weiß der Sender der Daten im Normalfall gar nicht, welche Systeme der Empfänger hat. Heißt das, dass jede Übertragung von Daten speziell programmiert werden muss?

WILKES:
Das wäre der schlimmste Fall für die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Systemen. Aber hier haben sich glücklicherweise Standards etabliert, die die Kommunikation unterstützen. Beispiele dafür sind die schon erwähnten Standard-Klassifikationen, wie ECLASS oder ETIM, die die Produktgruppen definieren, die Produkte eingruppieren und die Merkmale festlegen, mit denen Produkte beschrieben werden können. Dadurch, dass sie unabhängig und im Konsens vieler Beteiligter definiert worden sind, dienen sie als „Transfersprache“ bei der Übertragung von Produktdaten. Ein Beispiel: Wenn in einem Produktkatalog ein Merkmalswert angegeben wird, sagen wir „350“, dann wird diese Angabe mit dem Identifikator eines Merkmales in der Standard-Klassifikation verbunden. Damit kann der Empfänger die Bedeutung dieses Wertes verstehen. Er findet in der Standardklassifikation etwa die Information, dass es hier um eine Temperaturangabe geht, nämlich die maximal messbare Temperatur eines Messfühlers und dass dieser Wert in °K gemessen wird. Das Klassifikationssystem ist also das Wörterbuch, in dem man „Begriffe“, also die Bedeutung von Werten, nachschlagen kann. Und wenn Empfänger und Sender sich auf diese „Sprache“ einigen, dann können sie sinnvoll kommunizieren.

KAHLER:
Was heißt das für ein Unternehmen, das nun eine eigene Hausklassifikation aufgebaut hat. Wie schließt man auf eine Standardklassifikationen?

WILKES:
Es muss tatsächlich immer ein Mapping erfolgen von der Hausklassifikation auf den vereinbarten Klassifikationsstandard. Ein solches Mapping sorgt dafür, dass für jedes Produkt klar ist, zu welcher Klasse es zugeordnet wird und es beschreibt für die relevanten Merkmale der Standard-Klassifikation, wie die Werte aus den Merkmalswerten der internen Klassifikation abzuleiten sind.

KAHLER:
Ist das nicht ein großer Aufwand?

WILKES:
Es ist richtig, das kriegt man nicht umsonst. Auf der anderen Seite gibt es heute Softwaresysteme, die dabei unterstützen. Genauso, wie man Softwaretools braucht, die einem bei der Verwaltung der internen Produktdatenverwaltung auf der Basis Ihrer Klassifikationen unterstützt, braucht man Tools, die beim Transfer der Daten zwischen Systemen und zwischen Unternehmen Unterstützung leisten. Mit einem solchen Tool ist die Erstellung eines Mappings per Drag and Drop recht leicht umsetzbar. Und Sie müssen ein solches Mapping ja nur einmal erstellen – anschließend können Sie beliebig oft Produktdaten ausleiten – auch eingebettet in automatische Prozesse, gesteuert durch Anfragen oder zeitgesteuert, etc. Zum Beispiel bietet unser Unternehmen Semaino mit der damexSuite ein solches Tool, das Sie bei derartigen Datenaustauschprozessen unterstützt.

KAHLER:
Wodurch zeichnet sich denn ein solches Tool aus? Welchen Herausforderungen muss sich ein Unternehmen stellen, das mit seinen Partnern Daten austauschen möchte?

WILKES:
Die Herausforderungen von Produktherstellern sind mannigfaltig: Für die Datenübertragung brauchen wir ein Medium, ein Austauschformat. BMEcat, GS1/XML, Datanorm, etc. sind einige Beispiele. Diese Austauschformate enthalten ihrerseits eine Menge von Merkmalen. Allerdings dienen diese Merkmale meistens nicht der technischen Produktbeschreibung. Stattdessen enthalten Sie vor allem kaufmännische und logistische Informationen. Diese Daten müssen genauso aus den internen Datenbanken übernommen werden, häufig aus dem ERP-System. Hinzu kommen die technischen Produktbeschreibungen mit Hilfe der Klassifikationsmerkmale. Somit müssen derartige Tools die Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführen können und einen Katalog bzw. eine Austauschdatei daraus erzeugen. Hinzu kommen die unterschiedlichen Versionen der Klassifikationen und Austauschformate, die alle in Benutzung sind. Verschiedene Kunden werden erwarten, dass Sie Kataloge nach unterschiedlichen Versionen erzeugen können. Dabei werden gerade bei BMEcat sehr genaue Anforderungen angelegt, etwa an Feldlängen, an Mussfelder oder auch an die zu liefernden Daten. Und das Tool sollte Ihnen Rückmeldungen geben, falls noch nicht alle Anforderungen erfüllt sind, damit Sie Ihre Daten oder Ihre Mappings verbessern können und schließlich einen korrekten Datenkatalog erzeugen. Man sieht also, ein solches Tool muss sehr flexibel sein, muss viele Details einstellbar machen und die Datenqualität sicherstellen, damit der Katalog genau auf die Anforderungen des jeweiligen Kunden zugeschnitten werden kann.

KAHLER:
Wie immer steckt der Teufel offensichtlich im Detail. Und dabei haben wir ja bisher nur über die Senderseite gesprochen. Wie sieht es denn auf der Seite des Datenempfängers aus?

WILKES:
Ja, viele Unternehmen benötigen Zukaufteile von verschiedenen Zulieferern, ebenso wie Händler oft von vielen unterschiedlichen Lieferanten beliefert werden. In jedem Fall gilt es, die Daten, die die Lieferanten zu Ihren Produkten verschicken, in die eigenen Produktverwaltungssysteme zu bekommen. Wir haben also die reziproke Situation des Versendens: die Lieferantendaten – die oft, aber nicht immer, gemäß Standard-Formaten und Standard-Klassifikationen ankommen – müssen in die eigenen Systeme übertragen werden. Basis ist wiederum das Mapping von einer Klassifikation auf eine andere – hier von den Standards in die Haus-Klassifikation, etwa im PIM-System. Die automatische Überprüfung der Qualität der angelieferten Daten spielt hier eine essentielle Rolle – Sie wollen ja keine Fehler übernehmen, Sie wollen keine bereits veredelten Daten überschreiben, sondern Sie wollen mit den Daten weiterarbeiten können. Dazu sind in der Regel eine Reihe von Prozessschritten nötig, die spezifisch für die jeweilige Situation im Unternehmen zu gestalten sind. Auch hierbei benötigen Sie ein flexibles Tool, das Sie bei allen diesen Punkten unterstützt.

KAHLER:
Wolfgang, wir danken dir für diese Einblicke in die Welt der Produktdaten, der Klassifikationen und des Produktdatenaustausches.

Zur Person:
Dr. Wolfgang Wilkes ist einer der Gründer und Geschäftsführer der Semaino Technologies GmbH. Er hat lange Zeit an der FernUniversität in Hagen gelehrt und geforscht und in vielen nationalen und europäischen Forschungsprojekten rund um die Modellierung, Übertragung und Standardisierung von Produktdaten mitgewirkt. Aktuell ist er in verschiedenen ISO, CEN und DIN-Gremien aktiv, vor allem im Umfeld von BIM und VDI 3805, ebenso wie bei ECLASS, etwa als stellvertretender Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats von ECLASS.

Portraitfoto Dr. Wolfgang Wilkes